Abstraktion begegnet Figuration Nr. 2

Dorothee Schraube-Löffler und Johannes Braig

 

Auszug aus der Rede von Andrea Dreher zur Ausstellungseröffnung

 

 … Dorothee Schraube-Löffler blickt auf ein Leben zurück, das sich mitunter wie aus einem kunsthistorischen Lehrbuch liest. Ihre Kindheit verbrachte sie in Oberlenningen nahe Kirchheim / Teck, wo sie im Jahr 1950 als einziges Mädchen Abitur gemacht hat. Ihr Vater, Ingenieur in einer Papierfabrik, war ein kunstinteressierter und künstlerisch begabter Mann, der während des Krieges in den 1940er Jahren die beiden vom Hitler-Regime verfemten Künstler Willi Baumeister und Oskar Schlemmer heimlich mit Papier versorgte, was seine Tochter Dorothee am Rande mit bekam. Zwar hatte sie ursprünglich den Wunsch, Medizin zu studieren, aber die begehrten Medizin-Studienplätze waren damals zunächst den Kriegsheimkehrern vorbehalten. So eröffnete die Abiturientin Dorothee ihrer verwitweten Mutter, sie wolle nun Kunst studieren. Diese Entscheidung traf zunächst auf wenig Begeisterung, aber als Willi Baumeister der Mutter erklärte, dass das Studium des Textildesigns an der Stuttgarter Akademie sehr anerkannt sei und eine gute berufliche Zukunft verspreche, waren die Wogen wieder geglättet. Dieser Empfehlung folgend studierte die junge Dorothee Löffler bei Prof. Harni Ruland Textildesign und bei Prof. Willi Baumeister Malerei. Dank eines Stipendiums verbrachte sie das Jahr 1953 in Paris an der Academie des „Beaux Arts“, was einen ersten spannenden Höhepunkt im Leben der selbstbewussten angehenden Textildesignerin darstellte.


Im Baienfurter Wohnzimmer der Künstlerin hängt noch ein Webteppich aus der Akademiezeit, der die Kraft jener Jahre der aufbrechenden Moderne atmet. Dorothee Schraube-Löffler war während ihres Studiums unmittelbar in die Stuttgarter Kunstszene der Nachkriegszeit involviert. Sie entdeckte die Moderne, und wie andere Junge hatte auch sie den Mut, nach vorne zu blicken und die -Ismen und den Muff der Vergangenheit  in die Schubladen zu verbannen. Diesem Webteppich lag im Übrigen ein gemaltes Bild zugrunde, das im Kurs von Willi Baumeister entstanden war. Der Professor erkannte sehr früh die Begabung Dorothee Löfflers im Umgang mit Stoffen und Material. So riet er ihr „Mädle, web dein Bild, dann ist es noch stärker“. Ein sehr überzeugendes neueres Webbild sehen wir auch in der aktuellen Ausstellung (Nr. 45). Wir sehen in dieser Ausstellung viele Werke, in denen das Thema Blattgold dominiert. „Das Gold war auf einmal da“, sagt sie, und in der Verbindung des Goldes mit „einfachen“ Materialien wie Wellpappe, Stoff und Naturmaterialien entwickeln die Arbeiten von Frau Schraube-Löffler eine malerische Qualität, die erst im Spiel mit Licht und Schatten ihre Wirkung entfalten. In der christlichen Malerei war der Goldgrund seit dem 4. Jahrhundert bis zum Ende des Mittelalters üblicher Hintergrund von Heiligendarstellungen. Erst um 1500, mit der Entdeckung der Perspektive, verschwand der raumlose, goldene Flächengrund. Der Weg vom punzierten Goldhintergrund einer frühmittelalterlichen Madonnen- oder Heiligendarstellung  zu einem freien Umgang der Farbe Gold, wie wir sie heute hier sehen können, war ein langer und sehr bedeutungsvoller. 

 

Dorothee Schraube-Löffler kennt diesen historischen Kontext und selbstbewusst experimentiert sie unaufhörlich mit der sog. Freiheit der Farbe Gold. So untersucht sie in ihrem Werk das Wechselspiel von Weißgold, Grüngold und Gelbgold, mal lässt sie dem Blattgold mehr Materialcharakter auf der Arbeit, mal überpinselt sie die Blättchen, um die Monochromie und Wirkung der Farbe in den Mittelpunkt der Arbeit zu rücken. Gold ist nie Gold, es wechselt mit jedem Licht seine Aura und lässt jedem Kunstwerk sein Geheimnis. Gold ist auf jeden Fall immer ein besonders anspruchsvoller Lichtträger, denn „Die Lichtwirkung ist mir ganz wichtig“, sagte die Künstlerin mehrfach in unseren Gesprächen. Wenn Dorothee Schraube-Löffler zur Farbe, z.B. zum Blau, greift, tut sie dies ganz entschieden und souverän. Von Cézanne ist folgender Satz überliefert, der sich wie ein Kommentar zu ihren Arbeiten liest: “Die Natur, ich habe sie kopieren wollen, es gelang mir nicht, aber ich war mit mir zufrieden, als ich entdeckt hatte, daß die Sonne sich nicht darstellen läßt, sondern daß man sie repräsentieren muß durch etwas anderes, durch die Farbe". 

 

Ebenso klar wie ihre Farbwahl und ihre Verwendung von Material ist bei Dorothee Schraube-Löffler die Bevorzugung des Quadrats als Bildträger. Beim Quadrat gibt es kein Konkurrieren der Seitenlängen um das Hoch-oder Querformat, im Quadrat sind Farbe und Fläche gleichberechtigt vertreten. Dem Quadrat liegt eine Ruhe zugrunde, die sich vom Format über die Farbe auf den Betrachter überträgt. Im Quadrat liegt höchstmögliche Konzentration gespeichert; so war es nicht per Zufall ein schwarzes Quadrat, mit dem Kasimir Malewitsch den Kunstbegriff der Moderne radikal veränderte. Die formalen Kriterien und der kompositorische Aufbau eines Kunstwerks sind für Dorothee Schraube-Löffler seit ihrem Studium bei Willi Baumeister unverrückbare Paradigmen für ihr Kunstschaffen. „Es ist fertig, wenn ich formal zufrieden bin“, sagte sie im Gespräch. Ihre meist quadratischen Formate sind daher von großer formaler Strenge und von einer besonderen Konzentration auf Strukturen geprägt. Jedes Werk, ob im großen Format oder als Miniatur, ist stets Teil einer Serie, die im Zusammenspiel an der Wand ihre Poesie entfaltet. …






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